Sportpsychologie für Turnierreiter – so mancher konnte sich darunter wenig vorstellen. Am 2. Februar 2019 hielt die Sportpsychologin Catherine Gratzl ein Seminar zu diesem Thema im Seminarhaus Auf der Gugl in Linz. Eingeladen wurde sie von Maria Appenzeller und Reinhard Hochreiter. Der Plan: Jede Teilnehmerin, jeder Teilnehmer sollte am Ende des Tages mit mehr Wissen und einer individuellen Strategie nach Hause gehen.
„Das große Ziel war das Finale auf den Mitteleuropäischen Meisterschaften“, erzählt Referentin Catherine Gratzl. Sie ritt auch wie der Teufel in der Vorausscheidung, qualifizierte sich, doch im Finale fiel sie zurück. „Warum?“, fragt sie die Teilnehmer des Seminars. „Das Ziel war die Qualifizierung ins Finale. Darauf habe ich mich ein Jahr lang vorbereitet. Leider habe ich vergessen, mich darauf vorzubereiten, was kommt, wenn ich dieses Ziel erreicht habe, nämlich, das Finale und ein passendes Ziel dafür zu haben“ Sie lernte aus diesem Fehler, machte es besser – seit 2011 hält sie den Weltrekord im 150-Meter-Passrennen der Isländer.
Aus der Reihe der Seminarteilnehmer kamen ähnliche Beispiele. Ziel gesteckt, Ziel erreicht, nicht daran gedacht, ein übergeordnetes Ziel zu definieren, oder ganz banal: aus Freude über eine gute Platzierung den nächsten Bewerb versemmelt. „Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn mir jemand beim Training zuschaut“, erzählt eine Teilnehmerin. „Die Konkurrenz am Turnier, das Gefühl, dass die anderen sowieso besser sind, verunsicherte mich komplett.“ „Wenn es im ersten Bewerb miserabel läuft – wie schaffe ich es, mich zu motivieren, es beim nächsten Bewerb besser zu machen?“ Doch auch das Gegenteil gibt es: „Ich verkacke den ersten Bewerb immer. Dann ärgere ich mich so über mich selbst, dass es beim nächsten Mal klappt. Wie komme ich gleich in den Angriffs-Modus?“ Auch Angst spielt manchmal eine Rolle. Gleich zwei Teilnehmerinnen erzählten von Erlebnissen aus den Anfängen ihrer Reitkarriere, die ihnen noch heute im Nacken sitzen. Stabilität, Fokus, Sicherheit, Zutrauen, Flexibilität sind Stichworte, die am Ende der Themensammlung auf dem Flipchart als Wünsche und Erwartungen notiert werden.
Die Teilnehmenden des Sportpsychologie-Seminars für Turnierreiter lauschen Sportpsychologin Catherine Gratzl. (c) Maria Appenzeller
Von der Gedankenautobahn bis ...
Catherine Gratzl zerlegt den Weg vom Training bis zum Hinausreiten aus der Turnierarena in seine Einzelteile. Selbstvertrauen ist die erste Komponente. Es folgen Training und Turniervorbereitung. Erst am Ende steht das Turnier selbst, das man selbstverständlich motiviert durchhalten möchte.
Sportpsychologin Catherine Gratzl zerlegt den Weg vom Training bis zum Turnier in seine Komponenten. (c) Maria Appenzeller
„Selbstvertrauen ist variabel“, sagt sie. „Es kann trainiert, aufgebaut oder auch zerstört werden. Eine wesentliche Quelle des Selbstvertrauens ist die gute Beziehung zum eigenen Trainer. Auch Weltklassereiter beziehen einen Großteil ihrer Stärke aus ihrer Trainerbeziehung. Der Trainer muss sich auf den Schüler einlassen. Der Schüler auf den Trainer. Ohne Vertrauen, ohne Zutrauen geht es nicht.“ Sie fordert die Teilnehmenden auf, eigene Stärken auf ein Kärtchen zu schreiben. Es fällt den meisten schwer. Schwächen sind eben präsenter. Dennoch sind es die bewusst formulierten Stärken, die das Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten wachsen lassen. Klar, dass Catherine Gratzls Seminar darauf angelegt ist, den Teilnehmenden die eigenen Stärken bewusst zu machen.
Die Teilnehmenden sind aufgefordert, fünf persönliche Stärken aufzuschreiben. (c) Maria Appenzeller
Gemeinsam mit den Teilnehmenden analysiert sie mögliche Störfaktoren im Training sowie am Turnier: Zuschauer, die eigene Mutter, der Vergleich mit anderen Reitern. „Vergesst die Grand-Prix-Reiter. Sucht euch Reiter, die euch ähnlich sind, schaut, was sie gut machen und lernt daraus. Seht, was ihr besser macht. Das ist gut fürs Selbstvertrauen.“ Manche Störfaktoren können ausgeschaltet werden. Bei anderen ist Desensibilisierung angesagt. „Störfaktoren im Training sind sehr, sehr willkommen“, bringt es Gratzl auf den Punkt. Gegen Panik vor unerwarteten Zuschauen beim heimatlichen Training hilft eben nur, vor Zuschauern zu reiten, bis man sich an die Menschen gewöhnt hat, die am Rand sitzen, plaudern und höchstwahrscheinlich sowieso nicht zuschauen.
Voraussetzung ist, Störfaktoren als solche zu erkennen, ihnen als Herausforderung zu begegnen und handlungsfähig zu bleiben. „Es ist ein Unterschied, ob ich mir denke, dass ich sowieso nix machen kann, oder ob ich mir überlege, was ich machen kann“, fasst es Catherine Gratzl zusammen und fragt: „Merkt ihr den Unterschied?“ Sie nimmt eine unsichere Haltung ein, verknotet und entknotet ihre Finger und murmelt mit Blick auf ihre Schuhspitzen: „Ja, heute am Turnier, da hatte mein Pferd einen guten Tag.“ Sie veränderte die Haltung, strafft den Rücken, strahlt in die Runde und sagt: „Wow, heute bin ich gut geritten. Ich war so bei mir, ich hatte mein Pferd total im Griff, ich bin geritten wie ein Weltmeister.“ Sie nennt es Gedankenautobahn. „Gedanken, die ich oft denke, werden zur Autobahn. Ich denke sie automatisch. Gedanken, die ich selten denke, sind wie kleine Trampelpfade durch den Wald.“ Sie empfiehlt – wie könnte es anders sein – an den eigenen Gedanken zu arbeiten. Statt „Hoffentlich spinnt er nicht“ hin zu „Wir machen das jetzt.“