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Profi-Talk: Reini Hochreiter im Gespräch mit Chiropraktiker Andy Petric

Reini Hochreiter hat den Fachtierarzt für Chiropraktik Andy Petric zum Gespräch geladen. Bei Kaffee und Kuchen tauschten die beiden Erfahrungen aus. Das Interview erschien in der Ausgabe 5/2022 der Western News – Das österreichische Westernreitmagazin.

Reini: Seit etwa 12 Jahren bist du mein Chiropraktiker. Du siehst meine Pferde relativ oft, meistens ein paar Mal im Jahr. Wie halten das andere Trainer? Was empfiehlst du?

 

Andy: Ich glaube, wenn ein Trainer ein Pferd ins Training bekommt, gehört es zum Wichtigsten, dass er einen Chiropraktiker holt, wenn er sich nicht sicher ist, ob das Pferd nicht will oder nicht kann. Das sagst du ja auch oft.

 

Reini: Ja, das halte ich so.

 

Andy: Und dann je nach Bedarf. Trainer haben den Vorteil, dass sie viel schneller merken, wenn etwas mit einem Pferd nicht stimmt. Einem Freizeitreiter fallen Probleme oft viel später auf. Daher sollten Freizeitreiter – schon bevor sie etwas merken – hin und wieder einen erfahrenen Chiropraktiker einen Blick draufwerfen lassen.

 

Reini: Ich lasse meine Jungpferde meistens nach drei bis vier Monaten Training zum ersten Mal durchchecken. Ich glaube, ein oder zweimal habe ich ein Pferd gehabt, dass ich gleich zu Beginn habe anschauen lassen, weil ich das Gefühl hatte, das Pferd kann einfach nicht.

 

Andy: Eben, da hattest du einen Verdacht. Ein junges Pferd nach drei bis vier Monaten Beritt routinemäßig anschauen zu lassen, macht auf jeden Fall Sinn. Junge Pferde sind im Wachstum. Da kann immer wieder mal was im Ungleichgewicht sein. Gerade bei Quarter Horses gibt es Blutlinien, die mit dem Wachstum mehr Probleme haben als andere. Da kann man gut gegensteuern.

 

Reini: Mir ist aufgefallen, dass es weniger Probleme gibt je länger ein Pferd im Training ist und je besser bemuskelt es ist. Kannst du das bestätigen?

 

Andy: Ja, die Muskulatur ist zu achtzig Prozent für die Gelenksstabilität verantwortlich. Viele Leute glauben, dass die Bänder und Sehnen die Gelenke zusammenhalten. Das stimmt nur zum Teil. Je besser die Muskeln ausgebildet sind, desto weniger Probleme gibt es.

Profi-Pferdetrainer Reini Hochreiter im Gespräch mit dem Fachtierarzt für Chiropraktik Andy Petric. (c) Appenzeller

Reini: Ich habe es gerne, wenn ich Quarter Horses im Sommer ihres Zweijährigenjahres zum Anreiten bekomme, vorausgesetzt, sie sind gut entwickelt. Andere Rassen ein halbes Jahr später. Mir kommt vor, es geht einfacher, wenn die Pferde jünger sind. Das Reiten braucht weniger Zeit, damit ist die Belastung geringer, und die Pferde bilden die Muskeln gleich so aus wie man es sich vorstellt. Merkst du als Chiropraktiker einen Unterschied, wenn ein Pferd bis fünf auf der Koppel gestanden hat verglichen mit Pferden, die früher angeritten wurden?

 

Andy: Natürlich darf man es mit den Jungen nicht übertreiben. Aber auch ich bin der Meinung, wenn man frühzeitig anfängt, entwickeln sich die Knochentrabekel dorthin, wo die Belastung ist. Wenn sie als Jungpferde nur herumstehen und fast keine Belastung haben, und man erst fünfjährig anfängt, dann sind alle Strukturen nicht auf so viel Bewegung ausgelegt. Dann gibt es oft mehr Probleme als bei Pferden, die beim Anreiten jünger waren. Was außerdem dazu kommt: Bei jungen Pferden teilen sich Muskelzellen noch. Wenn ein Pferd ausgewachsen ist, können sich die Muskelzellen nur noch vergrößern. Das heißt, wenn man früher anfängt, wird die Muskelmasse generell besser ausgebildet. Das Pferd entwickelt mehr Muskelzellen. Diese müssen nicht so groß werden, was auch für die geschmeidigen Bewegungen besser ist, die man beim Westernreiten haben möchte.

 

Reini: Haben Sport- oder Freitzeitpferde mehr Probleme?

 

Andy: Tatsächlich hält es sich die Waage. Sportpferde sind besser trainiert, werden aber mehr beansprucht. Ich könnte wirklich nicht sagen, dass die einen mehr Probleme hätten.

 

Reini: Wenn ein Pferd gut geritten wird, ist Sport aus chiropraktischer Sicht also nicht schädlicher als Ausreiten?

 

Andy: Nein, absolut nicht. Im Gegenteil. Es ist wie beim Menschen. Gut trainierte Menschen sind meistens gesünder als jene, die nur auf der Couch sitzen. So kann man das vielleicht vergleichen.

 

Reini: Im Umkehrschluss müsste das heißen, dass es schlecht ist, einmal in der Woche geritten zu werden, dafür aber intensiv?

 

Andy: Genau, die Weekend-Warriors – nur herumstehen, aber am Sonntag, weil das Wetter schön ist, sieben Stunden ausreiten. Das ist das Schlechteste.


Andy Petric

 

Fachtierarzt für Chiropraktik, tourt regelmäßig durch Österreich und Süddeutschland.

 

Dodge: Ram

Reiten: ist super

Familie: Ausgleich zur Arbeit

Freizeit: auch mit Pferden

Herausforderung: bis ins hohe Alter fit zu bleiben und wenn möglich am Pferd



Reini: Wenn du zu einem Pferd geholt wirst, um es zu behandeln, was machst du? Es kann sich nicht jeder etwas unter Chiropraktik vorstellen. Was ist der Unterschied zur Osteopathie?

 

Andy: Blockaden aufmachen will die Chiropraktik wie die Osteopathie, aber die Philosophie ist eine andere. In der Osteopathie arbeitet man über längere Hebel, das heißt man nimmt das Bein und will über das Bein die Hüfte manipulieren. Der Chiropraktiker schaut, dass er direkt an der Blockade arbeitet und so nahe wie möglich dran ist. Mein Ansatzpunkt ist meist direkt an den Wirbeln. Craniosacraltherapie ist wieder was anderes. Hier will man die Dynamik der Hirn- und Rückenmarkflüssigkeit manipulieren, was sicher zur Unterstützung gut ist. Bei einer wirklichen Blockade kann man damit meiner Meinung nach nicht so gut durchkommen wie mit Chiropraktik oder Osteopathie.

 

Reini: Wie wird man Chiropraktiker?

 

Andy: In Österreich sind wir in der glücklichen Lage, dass es ein abgeschlossenes Tierarztstudium braucht. Danach kann man eine Zusatzausbildung machen. In Deutschland gibt es zwei Schulen, in England eine. Weitere Ausbildungsmöglichkeiten gibt es in Amerika. In der Schule eignet man sich die Basics an. Das dauert circa ein halbes Jahr. Danach ist es entscheidend, so viele Pferde wie möglich in die Hände zu bekommen, denn Blockaden muss man spüren lernen.

 

Reini: Als ich vor zwanzig Jahren als Co-Trainer angefangen habe, war ein Besuch vom Chiropraktiker die Ausnahme. Trügt mich meine Erinnerung?

 

Andy: Nein, das stimmt schon so. Ich habe 2005 mit der Ausbildung begonnen. Mein Kurs war der zweite in Europa. Davor konnte man Chiropraktik nur in den USA erlernen. Da fällt mir ein: Kann ich dich eigentlich auch was fragen?

 

Reini: Ja, sicher.

 

Andy: Nach einer Behandlung müssen die Pferde meistens zwei bis drei Tage stehen. Wie du weißt heißt das, sie weder zu reiten, noch zu longieren. Auf die Koppel und Freilaufen dürfen sie. Wie ist es, wenn du ein Pferd nach der Behandlung zum ersten Mal wieder reitest?

 

Reini: Verschieden, bei manchen merkt man nicht gleich etwas. Bei anderen ist der Unterschied groß. Einige Male habe ich erlebt, dass ein Pferd beim Stoppen gern ein bestimmtes Bein gehoben hat oder häufig falsch angaloppiert ist. Nach der Behandlung war das Problem weg.

 

Andy: Von anderen höre ich manchmal, dass die Pferde nach der Behandlung etwas instabiler sind?

 

Reini: Das ist mir noch nie aufgefallen. Ich merke, dass die Pferde, wenn die Blockade gelöst ist, flexibler sind.

 

Andy: Aber manche brauchen sicher einige Zeit. Worauf ist hinaus will, ist das Schmerzgedächtnis. Ich kann dem Pferd ja nicht erklären, dass das Problem weg ist. Ich kann die Blockade zwar lösen, aber es muss selbst merken, dass es nun gut ist. Je öfter du eine Übung machst, umso besser wird es gehen?

 

Reini: Das habe ich vorhin gemeint: Bei manchen merkt man den Unterschied nicht gleich. Aber bei denen, die viel Herz haben, merkt man es sofort. Du setzt dich drauf, sie probieren, es geht und dann passt es. Behandelst du mehr Freizeit- oder mehr Sportpferde?

 

Andy: Das hält sich die Waage.


Reini Hochreiter

 

Seit 20 Jahren Profi-Pferdetrainer, seit zehn Jahren auf der South Hill Ranch in Steyregg bei Linz.

 

Reining: Spaß

Pferd: Partner

reiten: mein Leben

Freitzeit: hab ich wenig

Herausforderung: Beruf, Familie, Freizeit unter einen Hut zu bringen



Reini: Gibt es spezielle Probleme bei bestimmten Disziplinen?

 

Andy: Gewisse Unterschiede gibt es natürlich. Viele Springpferde sind in der unteren Halswirbelsäule ziemlich verspannt.

 

Reini: Und Reining-Pferde?

 

Andy: Reining-Pferde haben ihre Probleme häufig hinten. Generell ist das bei vielen Pferden so. Das Pferd sollte den Schub von hinten bringen. Jeder Schub muss durch das Iliosacralgelenk, deshalb verursacht dieses Gelenk oft Probleme.

 

Reini: Selbst wenn ein Pferd gut geritten ist? Oder hat es seine Probleme im Iliosacralgelenk, weil es gut geritten ist und der Schub von hinten kommt?

 

Andy: So könnte man das tatsächlich sagen. Lendenwirbelsäule und Kreuzbein verursachen auch oft Probleme.

 

Reini: Merkst du, wie ein Pferd geritten ist, wenn du es behandelst?

 

Andy: Ich sehe die Muskulatur und wie gut diese ausgeprägt ist – speziell der lange Rückenmuskel, die Brustmuskulatur, die Halsmuskulatur. Ich bewege jedes Pferd durch, und dabei merkt man Unterschiede – ob ein Pferd nur geradeaus geritten wird, ob es gymnastiziert wird. Außerdem gibt es große rassespezifische Unterschiede. Warmblüter sind generell weniger beweglich als Quarter Horses. Isländer und Spanier sind beinahe hyperflexibel. Wenn sich ein Isländer anfühlt wie ein normales Pferd, hat es schon was.

 

Reini: Manche Pferde haben einen suboptimalen Körperbau. Wenn ein Reiter darauf eingeht, das Pferd gut geritten wird und somit gut bemuskelt ist, kann man meiner Erfahrung nach einiges ausgleichen. Das Pferd kann trotz seines nicht optimalen Körpers eine gute Leistung bringen. Was ist deine Erfahrung? Haben Pferde mit einem schlechten Körperbau mehr Probleme? Selbst wenn sie gut geritten sind?

 

Andy: Ausgleichen ist bis zu einem gewissen Grad möglich. Aber ein gutes Exterieur ist durch nichts zu ersetzen. Pferde, die optimal für ihre Sportart gebaut sind, haben weniger Probleme.

Profi-Pferdetrainer Reini Hochreiter im Gespräch mit dem Fachtierarzt für Chiropraktik Andy Petric. (c) Appenzeller

Reini: Apropos Probleme: Manche spritzen präventiv ein Gelenk ein. Auch bei einem etwas längeren Knieband wird manchmal zur Prävention eingespritzt. Was hältst du davon? Empfiehlst du präventives Einspritzen?

 

Andy: Wenn ein Gelenk empfindlich ist, hat das eine Ursache. Man kann zwar das Gelenk schmerzfrei machen, aber die Ursache kann man nicht einfach wegspritzen. Das Problem wird wieder kommen, wahrscheinlich stärker, oder eine andere Struktur wird aufgeben. Auch bei den etwas zu langen Kniebändern empfehle ich zuerst Training oder eventuell einen speziellen Beschlag. Damit kann man viel machen. Aber Gelenke einspritzen auf Verdacht – das gibt es bei mir nicht. Ich habe es selbst nie gemacht, und ich würde es nicht empfehlen. Um etwas einzuspritzen muss es eine Diagnose geben, zum Beispiel eine Gelenksentzündung. Einspritzen als therapeutische Maßnahme, ja. Vorbeugend, nein.

 

Reini: Wo ziehen sich die meisten Pferde ihre Blockaden zu? In der Box, auf der Koppel, beim Spielen?

 

Andy: Man muss Makrotraumen und Mikrotraumen unterscheiden. Makrotraumen passieren, wenn das Pferd stürzt, wenn es sich in der Box verlegt, wenn es sich beim Spielen verreißt. Mikrotraumen entstehen, wenn über einen längeren Zeitraum etwas ungünstig einwirkt – wie ein Sattel, der nicht optimal passt, oder ein Reiter, der immer den gleichen Fehler macht. Das ist bei einem Mal nicht so tragisch. Wenn das Problem jedoch ständig einwirkt, können Blockaden entstehen. Beim Verlegen in der Box hat man die Blockaden meistens diagonal – vorne rechts, hinten links oder umgekehrt. Die Blockaden bei Mikrotraumen sind eher einseitig zu finden.

 

Reini: Bei mir kommen die Pferde auf die Koppel. Dort rennen sie auf und ab. Ich glaube, dass ihnen das gut tut, auch vom Kopf her, und dass sie dadurch geschickter werden, denn sie lernen, ihre Beine gut unter Kontrolle zu haben. Es gibt aber auch Leute, die ihre Pferde nur in der Box halten und nur kontrolliert bewegen wollen. Zum Beispiel in der Schrittmaschine oder beim Reiten.

 

Andy: Es gibt mittlerweile wissenschaftliche Studien, die beweisen, dass Pferde mit Koppelgang weniger verletzungsgefährdet sind, was ja logisch ist, denn wie du richtig gesagt hast: Wenn Pferde einen unebenen Boden gewöhnt sind, wird der Stellungssinn geschult, die kleinen Muskeln werden geschult, das ganze Sensorium wird geschult. Ein Pferd, das nur in der Box ist und auf dem Platz geht, ist mehr gefährdet.

 

Reini: Heißt das, dass es sogar von Vorteil ist, wenn eine Koppel uneben ist und es Hindernisse gibt, über die sie steigen müssen oder sogar springen können?

 

Andy: Ja. Die Motorik gehört ebenso geschult wie die Muskulatur. Auch Auspowern und Ausbuckeln sind wichtig. Die Gelenke werden richtig durchbewegt, was in der normalen Bewegung nicht so der Fall ist. Das Pferd ist ein Fluchttier. Es ist dafür gemacht aus einer Ruhephase heraus durchzustarten.

 

Reini: Gibt es ein Universalrezept, dass man dich nicht braucht?

 

Andy: Das gibt es natürlich nicht, nein, es ist total multifaktoriell. Es gibt tatsächlich Pferde, die selten was haben. Mein altes Turnierpferd ist so ein Beispiel. In den fünfzehn Jahre, die ich ihn habe, habe ich ihn vielleicht drei- bis viermal einrenken müssen. Er ist früh trainiert worden, hat eine sehr gute Muskulatur und ein optimales Fundament und Exterieur, weswegen er in seinem ganzen Turnierleben nur sehr selten einen Chiropraktiker gebraucht hat. Kurzum, es ist wirklich sehr vom Exterieur und vom Training abhängig.